AG Bairlein

Im Zentrum der Arbeiten der AG steht die Frage, welche Faktoren wie und wann den realen Vogelzug bestimmen.

Vogelzug basiert bei vielen, wenn nicht sogar allen, Zugvögeln auf angeborenen Dispositionen, die insbesondere dem erstmals ziehenden Jungvogel den Rahmen dafür vorgeben, wann sie für wie lange zu ziehen haben, wohin sie zu ziehen haben, wie sie ihre Routen finden und wie sie den Zug energetisch bewerkstelligen. Realer Vogelzug wird aber neben den inneren Dispositionen von einer Vielzahl von äußeren Faktoren bestimmt. Unser Ziel ist es, dieses komplexe Gefüge von endogenen und exogenen Faktoren aufzuklären, wozu wir sowohl im Freiland wie mit Vögeln in Gefangenschaft arbeiten.

 

Hat sich die Vogelzugforschung bisher vornehmlich mit einer recht groben Beschreibung der Vorkommen der Zugvögel außerhalb ihrer Brutgebiete (Rastgebiete, Winterquartiere) begnügt, so sind angesichts der teilweise dramatischen Rückgänge gerade der ins tropische Afrika ziehenden Singvogelarten viel genauere Kenntnisse der außerbrutzeitlichen Vorkommen erforderlich. Die zufälligen Funde von im Brutgebiet beringten Vögeln reichen hierfür nicht aus, da gerade aus den afrikanischen Vorkommensgebieten auch nach schon mehr als 100 Jahren „Vogelberingung“ keine ausreichende Zahl an Funden vorliegt.

Während bei großen Vogelarten die Möglichkeit besteht, ihnen Sender mit auf die Reise zu geben, die via Satellit erfasst werden können, womit diese neuartigen Einblicke in Zugablauf und Zugverhalten gewonnen werden können, stehen solche Verfahren für die kleinen Singvögel nicht zur Verfügung. Hier haben wir bisher zwei Möglichkeiten: Einsatz sog. Hell-Dunkel-Logger (Geolokation; s. Anlage) und die Analyse der chemischen Zusammensetzung (Stabile Isotope) von Federn, die im Winterquartier gewachsen sind. Beide Methoden sind für eine quantitative Beantwortung der skizzierten Frage ungeeignet. Die Geolokation erfordert den Wiederfang der Vögel im Brutgebiet, was bei Kleinvögeln aufgrund ihrer natürlicherweise hohen Sterblichkeitsrate, oft geringen Rückkehrrate und schwierigen Wiederfangbarkeit eher zufällige als systematisch quantitative Daten liefert. Stabile Isotope haben für eine genauere Analyse eine zu schlechte geografische Auflösung und können zudem keine Daten für Rastgebiete liefern.

Einen Ausweg liefert „Next Generation Sequencing“. Mittels NGS können in kurzer Zeit und vergleichsweise „preiswert“ hochauflösende individuelle genetische „Fingerabdrücke“ von vielen Individuen mittels sog. SNPs (Single Nucleotide Polymorphism; Einzelnukleotid-Polymorphismen) gemacht werden. Nach der Charakterisierung von Vögeln bekannter Brutgebiete lassen sich durch eine SNP-Analyse  Individuen in Rast-, Durchzugs- und Wintergebieten ihren Brutgebieten zuweisen. Somit kann man sehr genau auflösen, aus welchem Brutgebiet ein z.B. auf Helgoland durchziehender Vogel kommt. Diese genaue Zuordnung ist für viele unserer Untersuchungen außerordentlich wichtig, war uns bisher aber nicht möglich.

Grundlage und Voraussetzung für die spätere Anwendung auf Individuen in Durchzugs-, Rast- oder Wintergebieten ist die genetische Charakterisierung von Vögeln distinkter Brutgebiete. In einem gemeinsamen Projekt mit Prof. Dr. Michael Wink, Universität Heidelberg, bestimmen wir gerade für Vögel aus fünf räumlich getrennten Brutgebieten (Deutschland, Norwegen, Island, Alaska, Marokko) relevante SNPs über ein Genom-Sequencing mittels NGS, um anschließend Vögeln in Durchzugsgebieten über Genotypisierung Herkunftsgebieten zuordnen zu können.

Zugzeitliche Fettdeposition – ein neues Tiermodell für Diabetesforschung?

Zugvögel bereiten sich auf Flüge über „ökologische“ Barrieren wie Wüsten und Meere durch enorme Depotfettbildung vor, da Fett der wichtigste „Treibstoff“ für ihre Flüge ist. Vielfach kommt es dabei zu einer mehr als Verdoppelung ihres normalen fettfreien Gewichtes in nur drei Wochen. In den letzten Jahren haben wir nicht nur die ernährungsphysiologischen und ökologischen Mechanismen dieser Fettdeposition aufklären können, sondern dabei während der Depotfettbildung beim Vogel alle Symptome gefunden, die beim Menschen als sog. „Metabolisches Syndrom“ Diabetes und Adipositas kennzeichnen. Was beim Menschen eine Krankheit ist, ist beim Vogel ein regulierter normaler und regelmäßig wiederkehrender Vorgang. Es gilt deshalb als besonders spannend aufzuklären, wie diese Regulation beim Zugvogel funktioniert, denn möglicherweise ist der Zugvogel ein neues Tiermodell für die Diabetesforschung.

War uns bisher der Zugang zu diesen Fragen aus methodischen Gründen verwehrt, so haben wir heute mittels des „Next Generation Sequencing“ die Möglichkeit, Genome und Transkriptome im Detail zu erforschen. Dieses Vorhaben erfolgt in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Michael Wink von der Universität Heidelberg.

 

Finanzierung: Haushalt, Forschungsfonds Land Niedersachsen, DFG

Zugstrategien beim Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe)

Während die grundsätzlichen endogenen Faktoren in der Kontrolle des Zugverhaltens von Vogelarten vielfach untersucht sind, ist über die Rolle exogener Faktoren und die Entscheidungen und Ursachen, nach denen Vögel ihre Züge organisieren, nur recht wenig bekannt. Vor diesem Hintergrund bearbeiten wir eine Reihe von Teilprojekten. Von besonderer Bedeutung sind hier die Untersuchungen am Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe). Steinschmätzer bieten sich für detaillierte Freilanduntersuchungen besonders an. Sie haben eines der ausgeprägtesten Zugsysteme und sie lassen sich an im Gelände installierte elektronische Waagen anlocken, wodurch wiederholte Wiegungen individuell bekannter Vögel ohne Wiederfang und die Aufnahme individueller Fettdepositionsraten möglich sind. Bei ihrer Nahrungssuche lassen sie sich gut beobachten und so kann ihre Nahrungsaufnahme quantifiziert werden. Sie reagieren auf experimentelle Manipulation des Nahrungsangebotes. Damit lassen sich erstmalig in größerem Umfang Hypothesen zu „optimal migration“ im Freiland prüfen.

Neben den Freilandstudien untersuchen wir die angeborenen Grundlagen des Zugverhaltens des Steinschmätzers an gekäfigten Vögeln, wo zu wir einerseits Jungvögel aus verschiedenen Brutpopulation von Marokko über Norwegen und Island bis nach Alaska geholt haben, andererseits mit diesen Vögeln in Gefangenschaft brüten, um so die genetische Grundlage des Zugerhaltens zu ermitteln.